Die Zottige mit den Launen einer Primadonna
(Auszug)
 

 

Maxie war ein echter Rauhhaardackel. Morgen im Tierheim sollte er sterben, wenn ihn keiner nimmt. Dies war eine barmherzige Lüge des Tierpflegers. Maxies Vorbesitzer hatten versprochen, Tierheimkost und Logis so lange zu bezahlen, bis der Hund einen neuen Halter gefunden hatte. Aber das wusste ich damals nicht.

 

Den nächsten Betrug merke ich selbst nach einigen Wochen, als sich der rassereine Rauhaardackel zu einer absurd langen, struppig gelockten Fellraupe entwickelt. Richtig, die Beine sind krumm, die Vorderpfoten nach außen gestellt, soviel Rauhaardackel. Aber schon die Stimme irritiert. Sie ist tief und hat einen prächtigen Resonanzboden: Der Brustkasten dieses Dackelchens wächst sich zu einem Apparat heraus, der größere Rassen ahnen lässt. Außerdem läuft der Hund nicht auf zierlichen Teckelpfötchen, sondern auf mächtigen Bärentatzen, Flurschadenbrettern. Der Schwanz wird verwegen nach oben gekringelt. Die Ohren aber wachsen einfach nicht mit und bleiben für einen angeblichen Dackel verräterisch kurz. Dafür werden die Hinterbeine länger als die vorderen mit den dicken, krummen Gelenken. Nach acht Monaten wächst der Hund nur noch hinten. Maxies Aufbau erinnert zunehmend an den einer Skisprungschanze. Der Hund gehorcht aufs erste Wort, ist ein Temperamentbündel und Weltmeister im Hochsprung.

 

Das alles ist nicht dackellike, ich weiß es längst. Dann das entscheidende Erlebnis auf Hamburgs Alsterwiese. Maxie stürzt aus tiefer Brust freudejaulend auf eine Airdaileterrierhündin zu, wirft sich der Verdutzten vor die Läufe, kringelt sich japsend, will an deren Zitzen. Airdailes Besitzer jubelt auch: „Oh, das ist ja unsere Dicke, haben Sie die aus dem Tierheim?" Das Geheimnis um Maxies tiefen Bass, die borstigen Locken und die läppisch kurzen Ohren ist gelüftet: Nachbars Rauhaardackel und Besitzers Airdaileterrierin haben sich illegal unter bemerkenswerten Umständen vermählt. Weil er zu klein - und sie zu groß war, trieb er sie entschlossen an die Kellertreppe. Sie blieb willig unten stehen. Der Dackel stieg zwei Stufen höher und besprang sie. Vier Welpen wurden's. Drei brachte man bei Freunden unter. Den vierten wollte keiner haben. Er war zu dick und zu unförmig. Nun habe ich ihn.

 

Maxie ist eine Hündin von erwähntem Aussehen. Maxie ist gescheit, gerissen, enorm liebebedürftig und hysterisch. Die Hysterie ist ihre hervorstechende Eigenschaft. Sie hat das nicht von mir oder dank meiner Art, Hunde zu halten. Keiner meiner anderen Hunde zeigte auch nur Anflüge von Hysterie. Maxie dafür um so mehr, wie um ein Manko meiner übrigen Hunde auszugleichen. Das entscheidende Instrument ihrer Hysterie ist ihre Stimme, die sie virtuos einsetzt. Mit ihrem Airdaile-Bass röhrt sie klagend das ganze Haus zusammen, wenn ich auch nur zum Einkaufen gehe, ohne sie mitzunehmen. Wiederkommend werde ich mit gellendem Freudengekreisch begrüßt, das sie minutenlang durchhält und das sich nicht abstellen lässt, weder im Guten noch im Bösen. Es klingt hoch, plärrend und ist sehr laut. Fühlt sie sich schlecht von mir behandelt, hockt sie auf ihrer Decke und greint leise, aber durchdringend vor sich hin, immer im selben Ton. Versucht ein rüder Rüde sie zu besteigen, so schießt sie einen durchdringenden spitzhohen Schrei ab, der das ganze Entsetzen dieser Welt umfasst und die Nachbarn aus den Häusern treten lässt. Der Rüde wendet sich mit Grausen, so ernst hatte er das ja nicht gemeint. Aber Maxie tut so, als sei eine Rotte von Tigern über sie hergefallen, und ist nicht mehr zu gebrauchen. Es bleibt nur noch der Weg nach Hause. Dort sitzt sie gebrochen auf ihrer Decke und zittert eine Stunde lang am ganzen Körper. Das Zittern wird begleitet von dem schon bekannten wimmernden Gegreine, das für besonders dramatische Erlebnisse vorgesehen ist. Maxie setzte ihre prächtige Stimme und das Körperzittern ein wie eine unzufriedene Matrone das Weinen. Es hat lange gedauert, bis ich ihr wenigstens das anklagend heulende Röhren und das beklagende Winseln auf ihrer Decke abgewöhnen konnte. Aber ganz gelassen hat sie es nie.

 

Ihre Hysterie war gekoppelt mit Schlitzohrigkeit und einer unnachahmlichen Fähigkeit, mich ins Unrecht zu setzen, als Tierschinder hinzustellen. Regnete es draußen, setzte sie sich während des Spazierganges einfach hin, hob hilflos das rechte Pfötchen und begann zu wimmern. Das Mitleid der Passanten war ihr sicher. Gab es gar Schneematsch, wurde die nächste Stufe der Gegenwehr eingeschaltet: Ein uralter, erbärmlich hinkender Hund keucht hinter mir her, wenn wir auf dem Hinweg sind. Das Asthma, das schwache Herz, das Rheuma plagt sie, der fiepende Klageton wird als Zugabe mitgeliefert. „Das arme, alte Tier, wie kann man nur? Das sollte man mal mit Ihnen machen!" Ich zerre die kerngesunde Königin der Schauspielkunst wütend hinter mir her. Maxie gibt noch eine Extravorstellung, indem sie beim Humpeln die Pfoten wechselt und nun auch noch hinten lahmt. Immer mehr Leute bleiben kopfschüttelnd stehen, schicken mir zentnerschwere Blicke, schimpfen hinter mir her. Das kleine Biest Maxie schafft tatsächlich, was sie sich vorgenommen hat. Statt eines soliden einstündigen Spazierganges reduziere ich die Zeit auf magere 15 Minuten. Maxie hat das Nötigste erledigt, hinter sich und mir eine aufgebrachte Meute von Tierfreunden. Ich drehe um, bin satt von diesem Hundetheater und dem pöbelnden Pack in meinem Rücken. Kaum mit der Nase in Richtung Heimat, gesundet Maxie umgehend. Mit einem schrillen Freudenschrei flutscht sie mir mit einer gezielten Rückwärtsbewegung aus dem Halsband und legt einen Airdalerenngalopp vor, dass ich an der nächsten Straßenecke nur noch den Schneematsch aufspritzen sehe. Sie setzt, um den Weg abzukürzen, sportlich über gefährlich hohe Zäune von drei Vorgärten, legt sich an der nächsten Straßenecke zackig in die Kurve und ist meinen Augen entschwunden. Am Kreischen der Autobremsen höre ich, dass sie achtlos über die gefährliche Kreuzung prescht. Nun bin ich es, die kurzatmig hinter ihr herkeucht und das Tempo nicht halten kann. Während ich laufe, höre ich ängstlich auf jedes weitere Geräusch, das von einem schrecklichen Autounfall mit Hund künden könnte. Doch dann vernehme ich erleichtert Maxies gebieterisches Bellen und weiß, dass sie die Rückflucht überlebt hat. Sie sitzt vor der Haustür des Miethauses und versucht, die dreißig Nachbarn mit ihrem Gekläff zu alarmieren. Man möge ihr öffnen und zwar äußerst rasch. Es dauert viel zu lange, bis ich herangerannt komme. Bin ich endlich da und sie immer noch vor verschlossener Tür, freut sie sich überschwänglich, springt mir samt ihrer angeblichen Herz-, Lungen- und Knochenkrankheit bis zu den Schultern hoch, ist prächtig gelaunt und mit mir und der Welt zufrieden....