Bengel, ein Tyrann auf Dackelpfoten
(Auszug)

 

Auch Bengel kam aus dem Tierheim. Er gehörte nicht mir, sondern meiner Tante Lotte, mit der ich oft zusammen auf dem Lande lebte. Um den Hund korrekt zu beschreiben, liest es sich akkurater: Tante Lotte gehörte Bengel. Sie hatte sich nach ihm und seinen Launen zu richten.

 
Er war goldbraun, sein langes Fell war seidenweich, der Kopf langgezogen und edel, die Ohren so richtig nach Vorschrift, also viel länger als breiter, und legte man sie nach vorne, konnte man mit ihnen seine Nasenspitze erreichen. Herrlich auch seine großen schwarzen Augen, mit denen er wachsam seine Umgebung kontrollierte. Bengel hatte keine Beine, sondern vier nach außen gebogene Gehwarzen. Sie waren so kurz, dass er beim Laufen schaukelte wie ein dümpelnder Kahn im Hafen. Die Rute mit den langen Haaren wurde dabei waagerecht getragen und schaukelte mit. Sie ließ den Hund länger erscheinen als er sowieso schon war.
 

Bengel lief in erster Linie geradeaus. Damit hatte er schon genug zu tun. Wenn andere, hochbeinige Hunde einen Schritt taten, musste er mindestens vier absolvieren. Aus diesem Grund waren ihm Kurven und Schlenker zuwider. Angestrengt ein forsches Tempo vorlegend tippelte er als Leithund Menschen und Hunden voraus. Wollte ihn jemand überholen, wurde er giftig. Ein scharfes Bellen, ein kurzes Schnappen nach rechts oder links stellte die Marschordnung rasch wieder her. Mitunter aber wollte auch Bengel woanders hin als nur geradeaus. Er hatte den Wunsch, sich von der lärmenden Gesellschaft hinter ihm abzusetzen und etwas ungestörte Zeit zu verbringen, sei es zum Wildern, sei es, um in der abgeschiedenen Ruhe der Natur ein wenig zu meditieren. Überkam ihn dieser Wunsch, schnüffelte er umständlich an einer Stelle herum, ließ sich listig von allen überholen und schlug sich dann, wenn keiner hinsah, seitwärts in die Botanik. Oft bemerkten wir sein Verschwinden erst nach Minuten, gingen den Weg zurück, suchten, riefen. Bengel hörte natürlich nicht, blieb fort. Alle machten sich Sorgen. Dieser kleine Hund, der so miserabel lief, konnte doch nicht verschwunden sein? Wir entdeckten ihn unter den Rübenblättern am Feldrand flach auf den Boden gedrückt. Er war nicht höher als die Ackerfurche des Feldes, in dem er sich verbarg. Sogar seinen Kopf presste er platt auf die Erde, um nicht entdeckt zu werden. Er war so eins mit dem Erdboden, dass nur geschulte Dackelsuchspezialisten ihn entdecken konnten. Häufig verriet ihn zu unserem Glück sein goldbraunes Fell, das vom schmutzigen Grau des Ackerbodens abstach. Wenn wir ihn gefunden hatten und an die Leine nahmen, spie er Feuer und Schwefel vor Zorn, schnappte wütend nach jedem Menschenbein, das in seine Nähe kam. Er war entrüstet und ließ sich mit schweren Pfoten weiterzerren. Der Tag war ihm vermiest. Nicht er hatte uns etwas angetan, sondern wir ihm.

Er hat nach einem solchen Vorfall für den ganzen Abend mit keinem von uns gesprochen. Jede Leckerei, auf die er sonst so versessen war, wies er mit seitwärts gestelltem Kopf weit von sich. Insbesondere Tante Lotte wurde hart gestraft. Sprang er sonst während des Abendbrotes kuschelnd neben sie auf das Sofa, so blieb er nach solch einem Erlebnis sauer in seinem Körbchen weit von ihr entfernt liegen, hin und wieder gekränkt vor sich hinknurrend über soviel Menschenschlechtigkeit.

Bengel war sehr klug und hatte ein ungemein gutes Gedächtnis. Erhielt er einen Knochen, benagte er ihn zunächst stundenlang und vergrub ihn dann, aber nur, wenn keiner zusah, an einem geheimen Ort im Garten. Der Knochen vom Mittwoch lag links neben den Rosen, der vom Freitag vor der kleinen Tanne, die erst halb abgezuzzelte Kalbshaxe von gestern hatte er besonders tief vor der Schuppentür vergraben. Er saß im Garten und beobachtete argwöhnisch jeden Schritt der zahlreichen Hausbewohner. Näherten sie sich ahnungslos der kleinen Tanne, dem Rosenbeet oder gar der Schuppentür, schoss er wie eine Rakete heran, bellte und fuhr ihnen, wenn sie es noch wagten, weiterzugehen, mit spitzem Zahn in den Schuhabsatz. Höher kam er zum Glück nicht, weil er mit seinen Kurzbeinchen schlecht springen konnte und alle rasch den Fuß hochzogen. Daher war es auch an den heißesten Sommertagen dank Bengels Wachsamkeit ziemlich gefährlich, Sandalen zu tragen oder gar barfuss zu gehen. Wer auf diesem Hof mit Bengel zusammen leben musste, trug sich selbst zuliebe solide Halbschuhe mit festen Absätzen. Hatte Bengel durch einen zackigen Absatzbiss den Aufbewahrungsort des Knochens verraten, schaufelte er das gute Stück grimmig wieder aus dem Versteck heraus und trug es an eine bessere, abgelegene Stelle.

 

Mit diesem Wachdienst war er den ganzen Tag lang beschäftigt, denn im Laufe eines Monats hatte er sich etliche Depots geschaffen, von deren Existenz nur er wusste und die es zu verteidigen galt. Wenn alle Familienmitglieder ruhig auf den Liegen im Garten lagen und ihr Mittagsschläfchen hielten, konnte endlich auch er entspannen. Er rollte sich auf der Türschwelle zusammen, schlummerte ein und schöpfte Kraft für neue Wachaufgaben. Er war im Prinzip ein sehr zärtlicher Hund, der gerne gestreichelt werden mochte. Die Sache hatte nur einen Haken. ....